INNERORTS
Leitmotiv der Installationen von Ulli Böhmelmann
ist es, die von ihr erspürte und subjektiv
gedeutete Atmosphäre eines Ortes ästhetisch zu
präzisieren. Die ausgewählten Orte dienen dabei
nicht als Ausstellungsräume im üblichen Sinne,
denn es sind keine autarken Kunstwerke darin zu
finden. Das Kunstgeschehen ereignet sich vielmehr
als symbiotisches Ineinandergreifen von Raum und
Objekten. Letztere ergreifen nicht als
bevorrechtigte Kunstwerke Besitz vom Raum, sondern
gelten als gleichrangiges Medium. Während die
Form- und Farbgebung der eigens für einen Ort
angefertigten Objekte dessen atmosphärische
Qualitäten vertiefen, stellt ihre
Konstruktionsweise faktische Raumverbindung
her. So schließen Hohlkörper den umgebenden Raum
als Innenraum in sich ein. Das lichtdurchlässige
Material ermöglicht es den Objekten zudem,
künstliches Licht abzugeben oder Umgebungslicht in
ihr Inneres aufzunehmen, was ihnen ein
unstoffliches, ätherisches Aussehen verleiht.
Die Subsphären (2002) betonen verschiedene
Eigentümlichkeiten von unterirdischen Orten. Das
Maximiliansforum, für das sie ursprünglich
konzipiert waren, befindet sich im Zentrum einer
weiträumigen Fußgängerunterführung. Aus der
dortigen vom Tageslicht abgeschlossenen Atmosphäre
hat Ulli Böhmelmann das kalte und abweisende,
ebenso aber auch das Geborgenheit spendende Moment
aufgegriffen, welches man beispielsweise in Höhlen
empfinden kann. Mit der separaten Anordnung der
Piks und Plasmen in einander
gegenüberliegenden Räumen wurden die
widerstreitenden Aspekte
nebeneinandergestellt. Farbliche Anhaltspunkte
waren das Blau der gekachelten Wände und die gelbe
Neonbeleuchtung der Eingänge zur Unterführung. Die
aus Silikon geformten stalaktitenähnlichen
Piks verstärkten den höhlenartigen
Charakter der Unterführung. Ihr bläulich-kaltes
Leuchten verbreitete eine scheinbare Kühle im Raum
und ließ kaum wohlige Nähe zu. Dagegen weckten die
aus großporigem Schaumstoff angefertigten
Plasmen mit ihrem warmen Licht
Assoziationen zum Tageslicht und zu organischer
Lebendigkeit.
Durch die Installationen entstehen befremdliche,
verzauberte Zonen, die die Szenerie einer
Parallelwelt zu eröffnen scheinen. Erstaunlich
ist, daß Ulli Böhmelmann diesen Effekt mit
profanen Ausgangsmaterialien wie Silikon,
Schaumstoff oder Vliesstoff erreicht. Der wirklich
kostbare Werkstoff ist die in selbstvergessener
Arbeit geradezu maßlos aufgewendete Zeit: Über
Wochen und Monate vollzieht sich die handwerkliche
Ausführung in immer gleichen Arbeitsschritten. Die
monotone Abfolge findet als Gestaltprinzip ihre
Entsprechung in den sich wiederholenden
gleichartigen Formeinheiten - sie verstärkt
optisch die Raumtiefe, führt den Blick und sorgt
für eine Konzentriertheit in der Stimmung.
In der Herstellung der Objekte geht Ulli
Böhmelmann häufig an die technischen
Belastungsgrenzen des Materials. So drohten etwa
die Silikonnetze der Binnenräume, einer
Installation im Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses
in Bremen (2001), unter ihrem Eigengewicht zu
reißen. Entlang der Dachkonstruktion des streng
geometrischen Gebäudeinneren waren nahezu
transparente Silikongeflechte mit quadratischer
Struktur aufgehängt. Im Zusammenspiel mit dem
einfallenden Tageslicht entstanden Brechungen,
Spiegelungen, Glanzlichter und Schatten. Das damit
einhergehende lichte Flirren der Netze irritierte
die räumliche Wahrnehmung. Der Raum ging optisch
ins Diffuse über, zumal wenn Besucher an die Netze
stießen und sie in Bewegung brachten.
Licht war ebenso das wesentliche
Gestaltungselement in Das Innere zu bewahren
(2003). Bis zu vier Meter lange, aus weißem
Vliesstoff geformte Strahlen erstreckten sich,
Lichtstrahlen ähnlich, im Raum der Kölner
artothek. Wie ein riesenhaftes sphärisches Wesen
mutete das Sterngebilde an, das sich bis zu den
Wänden hin ausbreitete. Anstatt Licht zu spenden,
fingen die Strahlen das von den hochliegenden
Fenstern kommende Licht ein und bündelten es im
leeren offenen Zentrum des Sterns. Im Laufe des
Tages entstanden durch den sich stetig ändernden
Lichteinfall immer neue Licht- und
Schattensituationen.
Wie bei allen Arbeiten Ulli Böhmelmanns sind die
Objekte trotz ihrer erhabenen Anmutung nicht
symbolisch zu deuten. Sie weisen auch nicht auf
ein allpräsentes Höheres im romantischen
Sinne. Obwohl sich diese Kunst gerade im
ungreifbaren Zwischenraum von Objekt und Umgebung
definiert, handelt es sich nicht um eine
"Beseelung" des Raumes durch die Zuschreibung
einer wesenhaften Eigenschaft. Mit ihrer
Mehrdeutigkeit lassen die Installationen vielmehr
gewohnte Erklärungsmuster weitgehend ins Leere
laufen. Sie widerstreben dem rationalen Diskurs
und künden auch von keiner Welterklärung. Dennoch
stellen sie Phänomene oft monumentalen Ausmaßes
dar, die, anstatt das Publikum mit
marktschreierischen Glücksverheißungen zu
behelligen, seine Aufmerksamkeit mit sanftem
Pathos auf das unmittelbare Hier lenken. Als
Ausdruck persönlichen Denkens und Fühlens sind sie
poetische Bestimmungen des Ortes mit dem Anspruch,
ihn nicht zu verfremden. Sie stehen dafür ein, daß
ein Ort gerade ohne ideologische Verbrämung sein
Potential für das Zauberhafte, Geheimnisvolle und
Stille stets in sich trägt.
Nicole Geske
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